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SPECIAL FASSADEN- UND DACH­BEGRÜNUNG

Die häufigsten Fragen und Antworten zur Konstruktion, zur Pflanzenauswahl und den Risiken etc. der begrünten Fassade der Calwer Passage

Beantwortet von Florian Starz, Project Manager Facade Engineering bei der Werner Sobek AG

Nach welchen Kriterien wurden die Pflanzen ausgesucht?

Die Wahl der Pflanzen für die Calwer Passage folgt dem Leitbild eines fassadengebundenen Systems mit ganzjährig aktiver Vegetation. Die Pflanzen wachsen einerseits in Pflanzgefäßen, die in horizontalen Bändern vor den Fensterbrüstungen angeordnet sind. Vertikal verbinden Kletterpflanzen die Geschosse. Auf den Dächern des fünften und sechsten Geschosses betont ein kleiner Mischwald aus über 30 Bäumen das Gebäude als Tor zur Stuttgarter Innenstadt.

Die verschiedenen Pflanzenarten wurden jeweils entsprechend ihres Wuchsortes an Fassade oder Dach sowie den dortigen spezifischen Bedingungen ausgewählt. Zusammen bilden sie ein robustes biodiverses System. Alle Pflanzen sind stressresistent, wachsen besonders kräftig und sind regenerativ. Weitere Kriterien für die Auswahl sind ihr jeweiliger Wasser- und Nährstoffhaushalt, Stabilität, Wuchsform, Belaubung, Licht- und Platzbedarf, ihr Pflegebedarf und ihre Herkunft.

So wurde für die 370 Meter lange Fassadenhecke am oberen Gebäuderand, einer exponierten Lage, mit der Eibe (taxus baccata) eine besonders robuste, immergrüne Pflanze gewählt. Darüber hinaus lässt sich die Bepflanzung der Fassade in drei verschiedene Kategorien unterteilen: Zum einen kleine Einzelgehölze, wie die Niedrige Purpurbeere (Symphoricarpos chenaultii „Hancock“) oder der Berg-Ilex (Ilex crenata). Dazu flach wachsende, überhängende Pflanzen, die im Laufe der nächsten Vegetationsperioden die Fassadenkonstruktion teilweise überwuchern werden, wie das Großblättrige Immergrün (Vinca major), die Immergrüne Zwergmispel (Cotoneaster) oder der Winterjasmin (Jasminum nudiflorum). Die dritte Kategorie bilden kletternde Pflanzen, die an Seilen oder Netzen die Geschosse bis zum nächsten Pflanzenkübel überbrücken. An Seilen ranken zum Beispiel Knöterich (Fallopia baldschuanica) oder die Fingerblättrige Klettergurke (Akebia quinata) empor, an Netzen oder Gittern die Mongolische Waldrebe (Clematis tangutica) oder die Alpen-Waldrebe (Clematis alpina). Vor den Fenstern sind die Pflanztröge lichter, vor geschlossener Fassade, etwa den Treppenhäusern, dichter bepflanzt.

Neben den biologischen Anforderungen spielen ästhetische Kriterien eine wichtige Rolle. B

ei insgesamt ca. 1.700 laufenden Metern Fassadenbegrünung prägen die Pflanzen das Erscheinungsbild der Calwer Passage maßgeblich. Durch die große Artenvielfalt mit unterschiedlichem Laub, Fruchtansätzen sowie Blütenformen und -farben spiegeln sie die Jahreszeiten wider – so die prachtvolle Herbstfärbung der Gewöhnlichen Jungfernrebe (Parthenocissus vitacea), die rot leuchtenden Früchte der Schwedischen Mehlbeere (Sorbus intermedia) oder die goldgelben Blüten der Mongolischen Waldrebe (Clematis tangutica).

Pflanzen, Substrat, Rankeinrichtungen und die Bewässerungstechnik wurden an einem Mockup über zwei Vegetationsperioden analysiert und optimiert.

Wie erfolgt die Pflanzung konkret?

Vor über drei Jahren wurden die Pflanzen für die Calwer Passage in einer Baumschule im Ammerland vorgezogen und in die mit Substrat gefüllten Pflanzkübel aus Aluminium – die sogenannten Innengefäße – umgepflanzt. Dadurch sind sie fest im Gefäß verwurzelt, akklimatisieren sich leichter am neuen Standort und können optimal Wasser aufnehmen.

Auf der Baustelle werden ca. 11.000 Pflanzen in ca. 2.000 Pflanzgefäßen mit einer Hebevorrichtung in die der Fassade vorgelagerte Konstruktion eingesetzt. Diese Konstruktion besteht aus tragenden Stahlprofilen mit einer Blende, die als Verkleidung der Entwässerung, des Pflanzengefäßes sowie der dahinterliegenden Wartungsstege fungiert. Nach dem Einbringen der Tröge in die Fassade werden die Pflanzen an das Bewässerungssystem, das sie zugleich mit Nährstoffen versorgt, angeschlossen. Für die vertikale Fassadenbegrünung sind als Calwer Passage, Stuttgart – Special Fassaden- und Dachbegrünung Rank- und Kletterhilfen Edelstahlseile und Netze zwischen den Geschossebenen gespannt.

Eine Besonderheit sind die 40 großen Bäume, die auf und um das Gebäude gepflanzt werden. Elf davon – darunter Schwarzkiefern (Pinus nigra), Stieleichen (Quercus robur), Schwedische Mehlbeeren (Sorbus intermedia) und Hainbuchen (Carpinus betulus) – bilden einen kleinen Mischwald auf dem Dach der Calwer Passage. Die Bäume wurden in Markenbaumschulen, etwa der Baumschule Bruns in Bad Zwischenahn, 15 bis 20 Jahre (die Schwarzkiefern bis zu 25 Jahre) herangezogen. Sie erreichen die Baustelle mit einer Höhe von ca. acht bis zehn Metern, werden vor Ort mit einem Kran auf das Dach gehoben und mit einer Gurtvorrichtung vertikal ausgerichtet. Die Ballen sind mit einer Wurzelballenverankerung und einer zusätzlichen Kronenverankerung fest am Gebäude fixiert.

Wie sturm- und temperaturfest sind die Pflanzen?

Der junge Dachgarten ist aufgrund seiner exponierten Lage besonders anfällig bei hohen Windgeschwindigkeiten. Daher werden die Bäume mehrfach stabilisiert und ihre Pflanzhöhe auf ca. zehn Meter begrenzt, um so ihre Anpassung an den neuen Standort zu erleichtern. Das Gewicht des aufliegenden Substrats, sowie die zugfeste Verbindung des Ballens mit dem Gebäude sichern jeden Baum zusätzlich. Mit der Zeit breiten sich die Baumwurzeln im Substrat aus, wird die Gurt- und Kronenverankerung obsolet. Die Bäume erreichen eine maximale Höhe von 12 bis 15 Meter.

Grundsätzlich sind Stabilität und Stressresistenz entscheidende Kriterien bei der Wahl der Pflanzen. Aufgrund des Großklimas in Stuttgart muss unter anderem mit außergewöhnlichem Winter- sowie Spätfrost gerechnet werden. So ist zum Beispiel das sich an der Fassade emporrankende Immergrüne Geißblatt (Lonicera henryi) sturmfest und wird der Winterhärtezone 6b zugeordnet. Damit widersteht es Temperaturen bis zu -20,5 °C. Der Fassadentrog unterstützt bei der Temperaturregulierung: (Im Sommer) Eine Dämmschicht schützt den Wurzelraum vor zu starken Temperaturschwankungen.

Wie darf man sich die digital gesteuerte Bewässerung konkret vorstellen?

Die Bewässerung und Nährstoffversorgung der Fassadenbegrünung erfolgt über einen Tropfschlauch im Pflanzgefäß. Entsprechend der Lauboberfläche, Pflanzenart und -größe im jeweiligen Fassadenbereich variieren Anzahl und Leistung der Tropfelemente. Sensoren messen durchgehend den Feuchtigkeitsgehalt im Substrat. Erst bei Bedarf führt das digitale Versorgungssystem Wasser, das entsprechend dem Nährstoffbedarf der Pflanzen optimiert ist, zu. Alle Werte stehen den Landschaftsgärtnern per Fernabfrage zur Verfügung, wodurch auch manuelle Anpassungen jederzeit vorgenommen werden können.

Um die permanente Wasserversorgung der Pflanzen zu sichern, werden Störungen im System sofort gemeldet und behoben. Auch eine Wasserüberversorgung der Pflanzen, etwa im Fall starker Niederschläge, wird vermieden. Eine Speicherschicht nimmt überschüssiges Regenwasser auf. Zusätzlich sind Drainageöffnungen in den Boden der Pflanzengefäße integriert.

Wie steht es um eventuelle negative Beeinträchtigungen durch Mücken, Käfer & Co bei geöffneten Fenstern oder in der unmittelbaren Umgebung?

Grünfassaden wie die der Calwer Passage holen die Natur zurück in die Stadt – inklusive ihrer kleinen Bewohner. Die Bepflanzung bietet Insekten und Kleintieren, wie etwa verschiedenen Vogelarten, einen Schutzraum, wodurch die innerstädtische Biodiversität gefördert wird. Welche Tiere sich im Laubwerk wohl fühlen, lässt sich heute noch nicht eindeutig vorhersagen. Ein Insektenschutz an den Fenstern ist aktuell nicht vorgesehen. Mit der Zeit entsteht an der Calwer Passage ein sich selbst regulierendes Ökosystem.

Wie groß ist der tatsächliche Effekt auf das Stadtklima bzw. die Umgebung?

Innerstädtische Begrünung wirkt gerade in klimatisch herausfordernden Verhältnissen wie der Stuttgarter Kessellage besonders positiv. Die Laubschicht vor der Fassade sorgt durch Verschattung und Verdunstungskühle für eine deutlich geringere Oberflächentemperatur und minimiert so den Heat-Island-Effekt: Indem sich konventionelle mineralische oder Bitumenflächen vor allem im Sommer stark aufheizen, einen Teil der aufgenommenen Wärme speichern und über einen längeren Zeitraum abgeben, heizen sich unsere Innenstädte immer weiter auf. Laubschichten wenden hingegen zwischen 40 und 50 Prozent der auftreffenden Sonnenenergie für die Verdunstung von Wasser auf. Bei funktionierendem Wasserhaushalt der Pflanzen sind sie daher stets etwas kühler als die Lufttemperatur.

Die zweite wesentliche Auswirkung des Begrü- nungssystems ist die Regenwasserretention. Auch bei starken Niederschlägen wird das Regenwasser in den Dachgärten zu fast 100 Prozent festgehalten. Nur der Teil, den Pflanzen, Substrat und die Wasserspeicherschicht nicht aufnehmen können, wird abgeleitet. Während durch Flächenversiegelung in vielen Bereichen unserer Städte der Wasserkreislauf unterbrochen ist, wird an der Calwer Passage die Lücke im Wasserkreis geschlossen. So wird auf natürliche Weise eine Überlastung der städtischen Kanalisation verhindert.

Für die Nutzer des Gebäudes bildet die Berankung einen grünen, filternden Vorhang vor der Fassade, der den Straßenlärm absorbiert, Feinstaub bindet und so im Innen- und Außenraum für bessere Luftqualität sorgt. Auch die innerstädtische Biodiversität gewinnt durch die Grünfassade. Sie ist Lebensraum für verschiedenste, sich spontan ansiedelnde Kleintiere und Pflanzen. Für Passanten entsteht mit der begrünten Calwer Passage ein erholsamer Ruhepol im Stadtbild.

Wie lässt sich der erwartete positive Klimafaktor konkret bemessen im Hinblick auf Kühlung, Feinstaubbindung, CO2 etc.?

Ein präziser Einfluss der Bepflanzung auf die Kühlleistung lässt sich aus dem Gebäudebetrieb der Calwer Passage nicht ermitteln. Es fehlt der Vergleich bzw. eine direkte Bezugsgröße, unter anderem auch auf Grund der großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Begrünungslösungen. Es müssten entweder längerfristig Daten am selben Gebäude mit und ohne Bepflanzung ermittelt oder zwei baugleiche Gebäude unter identischen Bedingungen, das heißt mit und ohne Bepflanzung, direkt miteinander verglichen werden. Dieser klassische experimentelle Versuchsaufbau ist hier nicht realisierbar.

Wie lang ist die erwartete Lebensdauer der grünen Fassade?

Bei angemessener Wartung und Instandhaltung hat die Grünfassade der Calwer Passage kein Verfallsdatum. Die Pflanzen werden mit voll ausgebildeten Wurzeln eingesetzt und haben somit die besten Voraussetzungen für eine optimale Akklimatisierung am neuen Standort. Sollten einzelne Pflanzen etwa durch Unwetter ausfallen, können sie über Wartungsstege einfach ausgetauscht werden.